Ich beobachtete das Wetter, was leider inzwischen nicht mehr so gut aussah. Schnee ab ca. 1.300 m Höhe und Nebel. In der Woche davor wurde noch schöner Sonnenschein angezeigt, aber leider war das dann heuer nicht mehr der Fall. Da aber alles geplant war, wollte ich unbedingt den Aufstieg wagen. Schließlich war ich extra dafür fast 700 km gefahren. So entschied ich mich, am Donnerstag mein Abenteuer beginnen zu lassen. Am Mittwoch habe ich dann zum Eingewöhnen eine kleine Tour von ca. 3,5 Stunden unternommen. Durch die Partnachklamm über Graseck, Eckbauer und Wamberg wieder zurück zum Olympia Skistadion. So brauchte ich bei meiner Tour am Donnerstag nicht durch die Klamm. Ich hätte auch nicht viel gesehen, es war bei meinem Start noch sehr dunkel.
Am Donnerstag, den 15.10.15, bin ich also sehr früh aufgestanden, um um 5 Uhr loszugehen. Es wurde dann ca. 05:20 Uhr bis ich alles gepackt und fertig hatte. Mein neuer Tourenrucksack von Deuter war voll bepackt mit Proviant und Wechselklamotten und einiger anderer wichtigen Dinge wie z. B. eine Wanderkarte. Es war stockfinster, sodass ich mit Stirnlampe und Taschenlampe losziehen musste. Ich bin an diesem Morgen am Olympiahaus vorbeigegangen in Richtung Partnachklamm. An der ersten Weggabelung bin ich dem Weg rechts gefolgt in Richtung Partnachalm. Schon gleich ein steiler Aufstieg auf einem Asphaltweg. Der Weg sollte aber eine Zeitersparnis von ca. 45 Minuten bringen. Und wie gesagt, brauchte ich im Dunkeln daher nicht durch die Klamm gehen. Ich hätte glaub ich fürchterliche Angst bekommen, alleine da durchzugehen. Die Partnachalm liegt auf 1.050 m Höhe, Garmisch-Partenkirchen auf 708 m. Das war schon gleich recht anstrengend. Das Gute daran war, mir wurde erst gar nicht kalt. Komischerweise hatte ich überhaupt keine Angst alleine im Dunkeln. Ich schritt meinen Weg ab, vorbei an Wäldern, Weiden mit Holzhütten, plätschernden Bachläufen, die aus den Bergen kommen, vorbei an der Partnachalm, einem Bauernhof. Irgendwann so gegen halb sieben wurde der Himmel langsam heller. Um sieben Uhr konnte ich meine Lampen ausmachen. Ich ging immer wieder an der Partnach entlang, manchmal verließ ich sie wieder, aber sie war immer in meiner Nähe und das Rauschen des Wassers war gut zu hören. Ich erreichte das Reintal. Eine wunderschöne, märchenhafte Landschaft. Ich blieb hier und da mal kurz stehen, um diese Bilder aufzunehmen. Absolut schön. Ach ja, irgendwann beim Aufstieg auf die Alm begann der Schnee, aber zuerst nur wie Puderzucker. Was später immer mehr werden sollte. So sah das Ganze noch hübscher aus. Irgendwann wurde der breite Waldweg immer schmaler, ich überquerte kleine Holzbrücken, auf denen ich Schuhabdrücke von 2 - 3 Menschen erkennen konnte. Hm, war doch schon jemand vor mir so früh hier unterwegs? War ich also gar nicht alleine hier? Daneben waren immer Spuren von Tieren zu sehen. Von Gämsen? Ich meine, es war ungefähr 12 Uhr, als ich die Reintalangerhütte auf 1.369 m Höhe erreichte. Kurz vorher kam mir tatsächlich eine Frau mit Rucksack und Stöcken entgegen, die mich fragte, wo ich hin wolle. Als ich ihr sagte "Richtung Zugspitze", sagte sie mir, ich solle mir das gut überlegen, der Schnee würde jetzt immer höher. Wenn mir irgendwas spanisch vorkommen würde, solle ich umdrehen. Ich bestätigte ihr dies und ging weiter meines Weges. Inzwischen waren die Äste mancher Büsche und Bäume so voll mit Schnee, dass sie über dem Weg hingen und ich jedes Mal, wenn ich unter ihnen durchging, eine Ladung Schnee auf den Rücken oder viel mehr meinen Rucksack bekam. Nach einer Weile kamen mir noch zwei junge Frauen entgegen. Sie alle drei hatten auf der Reintalangerhütte gearbeitet und jetzt ist Saisonschluss (11.10.15) und sie gehen ins Tal. Eigentlich hatte ich meine Tour so geplant, dass ich 2 - 3 Tage unterwegs bin und auf genau dieser Hütte übernachten wollte. Das hatte ich aber im Vorfeld abgeklärt und so habe ich mich dazu entschieden, an einem Tag aufzusteigen und mit der Zugspitzbahn wieder runterzufahren. An der Reintalangerhütte stand ein Schild, 2,5 Stunden bis zur nächsten Hütte, der Knorrhütte. Diese Hütte liegt auf 2.051 m Höhe. Vor der Reintalangerhütte saßen zwei Männer, die wohl die Hütte noch winterfest machen und dann auch nach unten gehen.
Und dann begann für mich das echte Abenteuer! Der Schotterweg endete und es ging weiter über Felssteine. Als Markierungen gab es jetzt nur noch ab und zu Steine mit rot-weißen Markierungen. Dadurch, dass es aber schon geschneit hatte, waren manche Markierungen schlicht und ergreifend zugeschneit oder nur noch halb zu sehen. Manchmal konnte ich einen Pfad noch erkennen, weil der Schnee hier etwas tiefer war. Und ein Tier war genau auf diesem "Weg" hergegangen. Ich folgte diesen Spuren eine Weile bis sie irgendwann einen Verlauf nahmen, der für mich kein Weg war. Ich kam auf eine große flache Ebene, wo mittendrin irgendwann mal jemand einen schmalen Weg geschoben hat. So sah es zumindest aus. Irgendwie kann ich mir aber nicht vorstellen, wer das gemacht haben sollte. Naja, egal, ich fand hier und da immer mal wieder eine Markierung, also war ich richtig. Und dann stand ich plötzlich vor einer Wand. Dicke Felssteine türmten sich auf und ich wusste zuerst nicht so recht, wo ich weitergehen sollte. Kein Weg zu erkennen. Musste ich tatsächlich jetzt da hoch? Ich dachte, wenn ich irgendwann auf 2.962 m Höhe sein will, dann muss ich wohl langsam mal mehr Höhenmeter machen. Und so stieg ich die schneebedeckten Felsen hoch. Zu meiner Freude fand ich bald wieder eine Markierung. Yeah, ich bin richtig hier! Klasse, weiter geht`s bergauf. Ich kann es nicht abschätzen, wie lange das so ging, wieviele Meter es waren. Inzwischen war ich aber mit dem Nebel auf einer Höhe. Und das machte das Ganze nicht einfacher. Im Gegenteil. Ich kraxelte mich weiter nach oben durch die Felslandschaft. Einmal ging der Nebel etwas weg, da konnte ich die Berge etwas sehen. Nicht bis ganz oben, aber immerhin konnte ich sie sehen. Ich war mitten zwischen ihnen. Und dann kam ich an eine Stelle, die erste, an der ich wirklich daran gedacht habe, umzukehren. Es war ein unbeschreibliches, unwohles Gefühl. Leichte Panik stieg in mir auf. Ich befand mich wieder vor einer Wand, ach was, rechts und links und vor mir standen die Bergwände. Ich konnte sie teilweise nur erahnen. Zwischen diesen Bergen stand der Nebel und ich, ganz alleine, mutterseelen alleine, alles war ziemlich finster und angsteinflößend. Nie war ich in meinem Leben bisher an so einer Stelle gewesen. Was soll ich tun? Umkehren? Die ganzen Felsen mit Schnee wieder runter? Den ganzen Weg zurückgehen? Und das war das längere Stück. Da es am Anfang noch einfach zu gehen ist, macht man da die meisten Meter. Ganz ruhig. Überlegen. Nachdenken. Wenn ich weitergehe, ist es nicht mehr ganz so lang von der Strecke her, es dauert zwar, aber ich schaffe es noch locker, die letzte Zugspitzbahn zu bekommen. Und plötzlich geschah etwas Gruseliges, aber extrem Hilfreiches. Der Nebel stieg kurz auf und gab mir die Sicht frei auf die Berge und auf den weiteren möglichen Aufstieg. Ein Geschenk des Himmels! Das ist ein Zeichen! Also weiter! Ich habe dann meine Wanderkarte rausgeholt, weil ich echt nicht wusste, wo ich jetzt weitergehen muss. Und ich wollte ja keine Zeit verlieren und Umwege und damit Zeit riskieren. Ich muss sagen, mein Orientierungssinn auf der Karte und die Umsetzung meines Vorhabens haben gut funktioniert. Ich entschied mich dazu, rechts hoch zu gehen. Das war meines Erachtens die einzige irgendwie besteigbare Strecke, um weiterzugehen. Und die Knorrhütte sollte laut Karte auch rechts von mir liegen. Also weiter des Berges. Auf meiner Karte steht neben der Route "alpin". Ja, das war es dann auch. Der Schnee wurde immer höher. Und ich rutschte auch ein paarmal weg. Ich stürzte mal nach vorne in den Schnee und manchmal traf ich auch die Steine, war klasse mit meinem Rucksack auf dem Rücken. Einmal kam ich aus dem Gleichgewicht und landete auf meinem Rücken. Das sah bestimmt zum Schieflachen aus, aber mich konnte ja keiner sehen. Erstens wegen dem Nebel und zweitens weil da keiner war. Manchmal dachte ich, da ist jemand in der Nähe mit Trekkingstöcken unterwegs. Ich hörte immer wieder so ein Geräusch. Bis ich dann rausfand, dass das von runterfallenden Eiszapfen kam, die von den Felsen abfielen. So stieg ich Schritt für Schritt höher.
Dann kam mir in den Sinn, so langsam müsste doch mal die Knorrhütte auftauchen. Das tat sie aber nicht... Ich fand auf einem Stück des Weges mal wieder recht viele Markierungen, was mir wieder ein Stück Sicherheit gab. Leider blieben diese dann wieder aus. Nichts mehr, keine Hinweise darauf, ob ich noch richtig war oder nicht. Das Zeitgefühl und der Raum verwischten. Mein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass ich jetzt schon zweieinhalb Stunden unterwegs war seit der Reintalangerhütte. Wo war diese Knorrhütte denn bloß? Wie ich so dastand und kurz verschnaufte, bewegte sich plötzlich etwas in ca. 10 Meter Entfernung. Eine Gämse stand da im Nebel und glotzte mich an ! Sie stieß einen Drohlaut aus (zumindest glaube ich, dass es so etwas war), dann nochmal und dann lief sie bergab davon und verschwand im Nebel. Und plötzlich ein weiteres Mal ein Zeichen des Himmels. Wie ich der Gämse so nachschaute, verzog sich der Nebel abermals kurzzeitig und da sah ich sie am gegenüberliegenden Berg - die Knorrhütte! Ich war schon an ihr vorbei und zu weit gegangen! Himmel, wenn ich mich nicht umgedreht hätte und wenn der Nebel nicht genau da weggegangen wäre.... Also ein Stück wieder bergab, um einen anderen Berg herum und weiter hinauf Richtung Sonn-Alpin. Die Knorrhütte war Luftlinie ca. 50 m von mir entfernt. Oder waren es 100 m? Aber das sind Entfernungen in den Bergen, die möchte man nicht wirklich haben. Naja, ich musste ja auch nicht ganz zu ihr zurück. Ich war sowieso vom Weg der Markierungen abgekommen. Also ging ich meinen eigenen Weg. Ob der nun so richtig und der beste war, weiß ich nicht. Vielleicht habe ich es mir auch schwerer gemacht. Aber von diesem Punkt an ging der Nebel immer wieder runter und immer wieder hoch. Ich verfluchte ihn. Aber in den Lücken hatte ich sowas wie Zivilisation gesehen. Skilifte! Das Sonn-Alpin war kurz aufgetaucht. Ich konnte meinen Weg schon sehen. Und der Himmel wurde mit einem mal immer blauer. Die Wolken rissen auf. Der Nebel blieb irgendwann unter mir. Aufatmen! Glücksgefühle! Freude! Erleichterung! Tränen! Darüber, dass ich es geschafft hatte! Dass ich es ganz alleine geschafft hatte! Wahnsinn! Unbeschreiblich! Immer wieder der Blick zurück! Auf die Berge, die nun sichtbar waren! Die Bergspitzen! So klar, so schön! Der blaue Himmel dazu! Das ist die Belohnung für so ein Abenteuer!!! Darum habe ich das so gewollt und durchgezogen. Ich wusste, dass am Ende alles gut wird. Der Wetterbericht hatte für diesen Tag zwei Sonnenstunden vorhergesagt. Und das war auch fast so. Eineinhalb Stunden lang konnte ich diese wundervolle Natur, die Berge, den blauen Himmel und die Sonne genießen! Es war so unbeschreiblich schön.....!
Mein Weg war aber noch nicht zu Ende. Würde ich es noch schaffen, bis zum Gipfelkreuz aufzusteigen? Bevor die letzte Bahn ins Tal fährt? Mein Weg ging weiter berghoch. Über Geröllfelder, die mit Schnee komplett bedeckt waren. Es gab nur meine Fußspuren, sonst von niemandem. Ich schaffte es nicht, den letzten Berg vertikal hochzusteigen. Immer wieder rutschte ich ab. Trotz Steigeisen. Die Steine gaben unter dem Schnee nach. So entschloss ich mich, wieder ein Stück bergab zu gehen. Nicht weit entfernt waren die Skilifte und Männer mit ihren Schneefahrzeugen, die wahrscheinlich die Skilifte parat machten für die Skisaison. Ich vermutete Fahrspuren, auf denen ich meinen Weg nach oben fortsetzen konnte. Und richtig, so war es auch. Als ich beim Skilift ankam, staunte einer der Männer nicht schlecht. Er fragte mich, wo ich denn herkommen würde etc. Er meinte dann, ich solle in den Fahrspuren weiter hochgehen und wenn ich bis zu ihrem Feierabend nicht oben angekommen wäre, würden sie mich mitnehmen. Der weitere Weg erwies sich als sehr schwierig, weil er sehr, sehr steil war. Und die Höhenluft machte sich warscheinlich auch bemerkbar. Ich machte immer ein paar Schritte, dann blieb ich wieder stehen. Ich war einfach platt und erschöpft. Als ich zu siebenachtel oben angekommen war, kam die erste Pistenraupe von unten. Der freundliche Herr fragte mich, ob ich die letzten Meter nicht mit rauffahren wolle. Und ich bejahte seine Frage gerne. So kam ich noch in den Genuss, einmal Pistenraupe hintendrauf mitzufahren. Ein spaßiges Erlebnis! Am Sonn-Alpin angekommen, war ich so berauscht, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass der Nebel hinter mir wieder aufgestiegen war. Die Wolken hatten sich wieder zugezogen. Sie wurden eins mit dem Nebel. Und dann bemerkte ich erst, dass es zu guter Letzt auch noch angefangen hatte zu schneien. Tja, und damit war für mich Ende mit meinem Abenteuer. Das Münchner Haus auf dem Gipfel der Zugspitze war kurz zum Greifen nah. Aber für mich war Endstation auf dem Sonn-Alpin. Ende. Kein Gipfelkreuz in Augenschein genommen. Aber ich war nicht traurig. Ich war glücklich und heilfroh, dass ich um 16:05 Uhr heile auf der Zugspitze angekommen war. Dass ich die letzte Bahn noch erwischt habe! Der Berg macht das Gesetz. Ganz alleine er und das Wetter. Nicht wir Menschen. Nicht ich. Und so stieg ich von der Pistenraupe. Schnallte mir den Rucksack wieder auf. Und ging in den Zugspitzbahnhof und kaufte mir das Ticket für die Bergab-Fahrt. In zwanzig Minuten kam die Bahn, die mich glücklich und zufrieden wieder zu meinem Ausgangsort Garmisch-Partenkirchen brachte. Mit dem Bus fuhr ich vom Bahnhof zu meinem Hostel und kippte müde in mein Bett... War das ein Erlebnis! Ein echtes Abenteuer! Wunderschön! Auch Nervenkitzel war dabei!
Und eines bleibt... Ich muss da nochmal rauf. Ich will das Gipfelkreuz sehen! Der nächste Aufstieg erfolgt dann aber bei schönerem Wetter..... :-)
